29.11.21

Konzentration und Entspannung – Lernen Sie, wie Sie Ihre Lernfähigkeit verbessern können

von Gaëlle Piernikarch

Konzentriert oder diffus: Die kognitiven Wissenschaften sagen uns, wie wir lernen!

Einige der neuesten Forschungsergebnisse der kognitiven Wissenschaften besagen, dass wir alle über zwei wesentliche Denkweisen verfügen: den konzentrierten und den diffusen Modus.

In ihrem Buch „Lernen, wie man lernt“[1] erklären Dr. Oakley und Dr. Sejnowski, dass der fokussierte Modus „eine direkte Herangehensweise an die Lösung von Problemen unter Verwendung rationaler, sequenzieller und analytischer Ansätze beinhaltet. Der fokussierte Modus ist mit den Konzentrationsfähigkeiten des präfrontalen Kortex des Gehirns verbunden, der sich direkt hinter der Stirn befindet.“ (…)

Der diffuse Denkmodus hingegen ist „das, was passiert, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit entspannen und Ihre Gedanken einfach schweifen lassen. Durch diese Entspannung können verschiedene Bereiche des Gehirns miteinander verbunden werden und wertvolle Erkenntnisse liefern“.

Funfact: Wenn wir kleine Kinder beobachten, können wir sehen, wie leicht sie zwischen Konzentration und Spiel abwechseln können!

 

Die Rolle des Gehirns: Wie exekutive und selbstregulierende Fähigkeiten für das Lernen wichtig sind.

Die Forscherin, Dr. Sara Baker von der University of Cambridge, Faculty of Education, hat die Rolle des präfrontalen Hirnlappens bei der Art und Weise untersucht, wie kleine Kinder lernen, ihr Verständnis an eine sich ständig verändernde Umgebung anzupassen. Sie erklärt: „Der Frontallappen des Gehirns ist eine der vier Hauptabteilungen der Großhirnrinde. Er steuert die Entscheidungsfindung, die Problemlösung und das Verhalten. Wir nennen diese Funktionen exekutive Fähigkeiten sie sind die Ursache für die kognitiven Unterschiede zwischen Mensch und Tier. Meine exekutiven Funktionen ermöglichen es mir, einem Stück Kuchen zu widerstehen, wenn ich weiß, dass es bald Abendessen gibt“.[2]

Zu den exekutiven Funktionen gehören Selbstbeherrschung, Arbeitsgedächtnis, Emotionskontrolle, aber auch Konzentration, Aufgabeneinleitung, Planung/Prioritätensetzung, Organisation, Zeitmanagement, Definition und Erreichen von Zielen, Flexibilität, Beobachtung und Stresstoleranz.
Selbstregulierung wiederum ist die Fähigkeit, das eigene Verhalten und die Reaktionen auf Gefühle und Dinge, die um einen herum geschehen, zu verstehen und zu steuern. Dazu gehört die Fähigkeit, Reaktionen auf starke Emotionen wie Frustration, Aufregung, Ärger und Verlegenheit zu regulieren und sich nach etwas Aufregendem zu beruhigen.

Die Ergebnisse von Dr. Sara Baker bestätigten, dass die Variabilität der exekutiven Fähigkeiten von Kindern die kognitiven Verhaltensweisen erklären könnte, die sich in den ersten Lebensjahren zeigen. Was wir als Kinder lernen, stellt die Weichen für unser Leben.
„Die meisten Kinder haben die Fähigkeit erworben, ihre Impulse außer Kraft zu setzen und zu unterbrechen, um einer Aufforderung nachzukommen“, sagt Baker. „Die Fähigkeit, Impulse zu kontrollieren, ist entscheidend für die Sozialisierung von Kindern, ihre Fähigkeit zu teilen und in Gruppen zu arbeiten – und letztlich für ihre Anpassungsfähigkeit und ihr Wohlbefinden.“

Die Fähigkeit zur Selbstregulierung ist für das Lernen und die Entwicklung unseres Sozialverhaltens unerlässlich und hängt eng mit unseren Exekutivfunktionen zusammen. „Die Entwicklung dieses lebenswichtigen Bereichs unseres Gehirns fand lange vor der formalen Bildung statt und wird sich während unseres gesamten Lebens fortsetzen“, sagt Baker.

 

Neurowissenschaften werfen neues Licht auf  den Lernprozess des Gehirns

Lange Zeit glaubten Wissenschaftler, dass das Gehirn nur wächst und sich verändert, bis es reif ist, bzw. bis wir erwachsen werden. Doch durch neue bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanz (fMR) können wir heute sehen, dass sich das Gehirn im Laufe unseres Lebens weiter verändert. „Zellen wachsen. Sie bilden Verbindungen mit neuen Zellen. Einige hören auf, mit anderen zu kommunizieren. Und es sind nicht nur die Nervenzellen, die sich im Laufe des Lernens verschieben und verändern. Auch andere Gehirnzellen mischen sich ein. Wissenschaftler haben damit begonnen, diese Geheimnisse des Lernens zu entschlüsseln, und zwar nicht nur in großen Gewebeblöcken, sondern sogar innerhalb einzelner Zellen.“ [3]

Auf der Grundlage dieser jüngsten Erkenntnisse zeigen die Neurowissenschaften, dass Lernen zu folgenden Ergebnissen führt:

  • Physische Veränderungen des Gehirns als Reaktion auf Reize, was als Neuroplastizität bezeichnet wird.
  • Die Produktion neuer Neuronen (Neurogenese), die es ermöglichen, neuronale Bahnen zu schaffen oder neu zu entdecken und zu stärken. Zellen, die zusammen feuern, sind miteinander verdrahtet.

Die Konzentration auf die neue Aufgabe, die Teilnahme an spielerischen Aktivitäten rund um die Aufgabe und wiederholtes Üben sind Schlüsselelemente des Lernens, die zu diesen Veränderungen führen. In der Tat werden beim Lernen mehrere Gehirnregionen für die Lernaufgabe herangezogen. Diese Regionen sind mit Funktionen wie dem Gedächtnis, den verschiedenen Sinnen, der Selbstregulierung (Willenskontrolle) und höheren kognitiven Funktionen verbunden“. [4]

 

Moderater Stress einen positiven Effekt auf das Lernen 

Der Psychologe Mihaly Csíkszentmihályi hat in seiner Arbeit über das Konzept des Flow herausgefunden, dass ein Gleichgewicht zwischen den Fähigkeiten einer Person und den Herausforderungen, die ihr gestellt werden, die effektivste Lernerfahrung schafft. Eine Erfahrung des völligen Aufgehens in der Tätigkeit und der Situation, die zu einem Zustand des Glücks führt. Wenn man einem Lernenden mit geringen Fähigkeiten eine komplexe Aufgabe stellt, führt dies wahrscheinlich zu Angstzuständen. Andererseits werden einfache Aufgaben für besser ausgebildete Lernende wahrscheinlich zu Langeweile führen. Wir brauchen also den moderaten „Stress“, der durch ein angemessenes Maß an Herausforderung ausgelöst wird, um optimal lernen zu können.

Die Neurowissenschaften bestätigen, dass Stress und Leistung zusammenhängen. Gemessen am Cortisolspiegel erfordert die Stimulation zum Lernen ein moderates Maß an Stress oder Herausforderung. Während sich mäßiger Stress als vorteilhaft für das Lernen erweist, sind sowohl leichter als auch extremer Stress dem Lernen abträglich: „Ein geringes Maß an Stress wird mit geringer Leistung in Verbindung gebracht, ebenso wie hoher Stress, der das System in einen Kampf-oder-Flucht-Modus versetzen kann, so dass weniger Gehirnaktivität in den kortikalen Bereichen stattfindet, in denen Lernen auf höherer Ebene stattfindet. Moderate Cortisolwerte korrelieren in der Regel mit der höchsten Leistung bei Aufgaben jeder Art.“ 5

Bezieht man diese Ergebnisse auf Vygotskys Modell der „Zone der proximalen Entwicklung“ 6, wird deutlich, wie wir mit dem richtigen Maß an Herausforderung unsere Komfortzone verlassen und in Bereiche kommen, in der wir Fortschritte machen und Spaß haben.

 

Schaffen Sie die richtigen Lernbedingungen, um beste Lernleistungen zu erzielen

Zu den Dingen, die die Lernleistung steigern und die schon kleine Kinder tun, gehören guter Schlaf und regelmäßige Bewegung: Beides hilft unseren Zellen, sich aufzuladen und neu zu vernetzen, und hält unsere Stress- und Glückshormone (Cortisol und Dopamin) auf einem angemessenen Niveau.

Indem Sie für sich selbst und für andere die richtigen Lernbedingungen schaffen, verbessern Sie nicht nur die kognitiven Fähigkeiten, sondern tragen auch in hohem Maße dazu bei, dass Sie bei der Arbeit kreativer und glücklicher sind, was wiederum zu mehr Motivation und Engagement führt.

 

[1] Barbara Oakley, PhD, und Terrence Sejnowski, PhD: “Learning How to Learn”, TarcherPerigee, Penguin Random House LLC, 2018.
[2] Artikel von Alex Burton, University of Cambridge: “What happens in the brain when children learn” in Neuroscience News, 10. Februar 2016.
[3] “Learning rewires the brain” von Alison Pearce Stevens in “Science News for Students”, 2. September 2014.
[4] “Neuroscience and How Students Learn”, Vortrag von Daniela Kaufer, Associate Professor in der Abteilung Integrative Biologie, für die Reihe „How Students Learn“ des GSI-Zentrums im Frühling 2011.
[5] Csikszentmihalyi, Mihaly (2014). Applications of Flow in Human Development and Education: The Collected Works of Mihaly Csikszentmihalyi. Dordrecht: Springer, 2014.
[6] Lev Vygotsky: „Zone of proximal development“

 

Gaëlle Piernikarch
Gaëlle Piernikarch
Gründerin & CEO
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